Kein fließend Wasser zu Hause
Kaum eine andere Tätigkeit erfordert in unserer Industriegesellschaft mehr Privatsphäre als das Waschen und Pflegen des Körpers. Wir tun dies in der Regel allein, in unseren privaten Badezimmern, mit verriegelten Türen. Im historischen Kontext betrachtet, ist das ungewöhnlich. Das Baden in Anwesenheit anderer war früher eher die Regel als die Ausnahme. Noch bis in die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gab es in vielen Haushalten, selbst in den fortschrittlichsten Industriegesellschaften, kein fließendes Wasser, geschweige denn ein eigenes Bad. 1
Ein Badezimmer benötigt eine Wasserversorgung, aber auch einen Abfluss und eine Energiequelle um das Wasser zu erhitzen. Man kann natürlich auch ohne diese Infrastrukturen ein heißes Bad zu Hause nehmen. Seit der Antike haben Reiche private Bäder in ihre Häuser integriert. In den meisten Fällen konnten sie das tun, weil weniger wohlhabende Menschen - entweder Diener oder Sklaven - ihre Badewannen mit Eimern voll Wasser füllten und leerten und Feuerholz sammelten, um sie zu heizen.
Doch für die allermeisten Menschen war es praktischer, ihren Körper zum Wasser zu bringen als umgekehrt. Für einige bedeutete dies, in Flüssen, Seen oder Quellen zu baden. Für andere, vor allem im städtischem Raum, hieß es, ein öffentliches Badehaus zu besuchen.
Ist Baden unnachhaltig?
Moderne Badegewohnheiten sind ein gutes Beispiel für einen nicht nachhaltigen Lebensstil, der auf fossilen Brennstoffen basiert. Die Warmwasserbereitung ist in vielen Haushalten der zweitgrößte Energieverbraucher (nach Heizung und/oder Kühlung), und ein großer Teil davon wird zum Baden oder Duschen verwendet. 2 Das moderne Badezimmer benötigt viel Wasser und verbraucht zusätzlich Energie für Heizung und Abwasseraufbereitung. Auch der Bau und die Renovierung von Bädern sind ressourcenintensiv.
Umweltschützer plädieren allgemein für zwei Möglichkeiten um diese Probleme anzugehen. Eine Strategie konzentriert sich auf technische Lösungen wie wassersparende Duschköpfe, solarbeheizte Boiler, Wärmerückgewinnungssysteme für Abwasser und Grauwasserrecycling. Die zweite Strategie setzt auf individuelle Verhaltensänderungen oder einen gesellschaflichen Wandel, indem moderne Sauberkeitsnormen in Frage gestellt werden: kürzeres und selteneres Baden oder Duschen, kaltes Duschen oder eine Katzenwäsche am Waschbecken. 23
Es ist unwahrscheinlich, dass diese Ansätze viel bewirken werden. Viele technische Lösungen lassen sich nur schwer oder gar nicht in bestehende Gebäude einbauen, insbesondere in Städten. So verfügt ein Mehrfamilienhaus mit zunehmender Geschosszahl schnell nicht mehr über genügend Dachfläche, um Solaranlagen für alle Bewohner zu installieren. Umgekehrt ist es unwahrscheinlich, dass Werbung für Verzicht im Sinne der Nachhaltigkeit zu einer breiteren Akzeptanz umweltschonender Praktiken führt. 34
Öffentliche Bäder machen es leichter um Badepraktiken von der Nutzung fossiler Brennstoffe zu entkoppeln.
Gemeinschaftliches Baden könnte ein dritter Ansatz sein, wird aber nur selten erwähnt. Das ist bemerkenswert, denn im Hinblick auf die Ressourceneffizienz ist es fast unschlagbar. Der Bau und Betrieb eines Badehauses für 1.000 Menschen erfordert deutlich weniger Energie als der Bau und Betrieb von 1.000 Einzelbädern. Ein öffentliches Badehaus ist auch in Bezug auf Material, Geld und Platz effizienter. 5
Genauso wichtig ist, dass öffentliche Bäder die Anwendung der oben genannten nachhaltigen Technologien erleichtern. Dadurch wird der Energieverbrauch weiter gesenkt, und es ist möglich, die Badepraktiken von der Nutzung fossiler Brennstoffe zu entkoppeln. Darüber hinaus kann ein öffentliches Badehaus die Nachhaltigkeit erheblich verbessern, ohne Kompromisse bezüglich des Komforts zu machen. Im Gegenteil, durch die Bündelung von Ressourcen, um etwas für die Gemeinschaft und nicht für jeden einzelnen Haushalt zu bauen, kann ein Höchstmaß an nachhaltiger Extravaganz erreicht werden. Das könnte überzeugender sein als die Aussicht auf kalte Duschen.
Baden in Flüssen, Seen und heißen Quellen
Die Natur hat dem Menschen Badegelegenheiten in Form von Bächen, Flüssen, Teichen, Seen, Wasserfällen und Regenschauern geboten. Die Menschheit verbrachte viel Zeit im tropischen Afrika, wo zum Baden kein künstlich erhitztes Wasser erforderlich war. Als wir in kältere Klimazonen zogen, bot uns die Natur eine andere Lösung an: heiße Quellen. Auf der ganzen Welt gibt es Zehntausende von Thermalquellen - nur wenige der heutigen Länder haben gar keine. 67
Das Baden in heißen Quellen war in den Hochkulturen überall auf der Welt üblich. Diese Praxis reicht jedoch noch weiter in die Vergangenheit zurück. Archäologische Funde belegen, dass sich viele prähistorische Siedlungen in der Nähe heißer Quellen niederließen. 68 Es ist unmöglich, felsenfest zu beweisen, dass die Menschen diese Gewässer zum Baden nutzten, aber warum sollten sie das nicht tun, besonders in kalten Regionen? 9
Ein warmes Bad zu nehmen ist ein Brauch, der bis in die Vorgeschichte zurückreicht.
Die heutige Badekultur ist auf fossile Brennstoffe angewiesen, aber wenn wir den historischen Kontext betrachten, ist ein heißes Bad nicht unnachhaltig. Im Falle der heißen Quellen ist die gesamte Infrastruktur und der Betrieb — Wasserversorgung, Abfluss und Wärmequelle — bereits vorhanden.
Unsere Vorfahren haben auch das Dampf- oder Schwitzbad erfunden, um zu jeder Jahreszeit und in jedem Klima von kaltem Wasser Gebrauch zu machen. Statt Wasser zu erhitzen, werden die Menschen erwärmt, so dass sie bequem in kaltem Wasser baden können. Die frühesten Dampfhütten aus prähistorischer Zeit waren kaum mehr als kleine Blockhäuser oder zeltartige Konstruktionen, die mit Wolldecken oder Fellen bedeckt waren. 10111213
Die Entstehung des Badehauses
Künstliche Badeanlagen aus Ziegeln oder Stein entstanden vor etwa 4.000 Jahren. 14 Dabei konnte es sich um ein Freibad, ein Badehaus oder ein privates Bad handeln. Viele Badehäuser und Schwimmbäder wurden auf natürlichen heißen Quellen errichtet, wobei die natürliche Umgebung angepasst wurde, um sie bequemer, sicherer und attraktiver zu machen. 68 Die Menschen begannen auch, Wasser durch Kanäle, Rohre und Aquädukte in städtische Badeeinrichtungen zu leiten. Sie begannen mit dem Bau von Bädern, die auch künstlich erwärmtes Wasser nutzten.
Die alten Römer sind am bekanntesten für das öffentliche Badehaus, obwohl sie sich viel von den alten Griechen inspirieren ließen. Die griechischen Badehäuser bestanden aus Räumen mit einzelnen Hüftbädern an den Wänden. Aufrecht sitzend übergossen sich die Badenden mit heißem Wasser oder ließen dies von einem Diener übernehmen. Die Römer hingegen teilten sich das Wasser in großen Wannen oder Becken. Beide benutzten auch Dampfbäder. 15161718
In der Hochphase des Imperiums gab es allein in der Stadt Rom rund 1.000 öffentliche Bäder für eine Bevölkerung von etwa 1 Million Menschen - ein Badehaus pro 1.000 Einwohner. 819 Die prominentesten Badehäuser waren die „thermae“, in denen bis zu mehreren tausend Menschen gleichzeitig baden konnten. Diese Einrichtungen, die es nur in den größten Städten gab, waren mit Mosaiken, Marmorböden und -becken, Granitsäulen und Statuen reich verziert. Die Mehrheit der antiken römischen Badehäuser waren jedoch kleinere Bäder in der Nachbarschaft, die „balnea“ genannt wurden. 15
Das vorindustrielle Badehaus
Die Geschichte des öffentlichen Badehauses setzt sich auch nach dem Untergang des Römischen Reiches fort. Im Osten entwickelte sich aus dem römischen Badehaus der Hammam, der anstatt eines Beckens das Schwitzen als Reinigungsmethode bevorzugte.2021 Nach einem Schwitzbad übergoss man sich mit Wasser. Ähnlich wie die kleinen römischen Bäder, die als balnea bekannt waren, verbreiteten sich Hammams in großer Zahl in allen Städten der islamischen Welt, da sie die körperliche Reinigung und die Durchführung von rituellen Waschungen vor dem Gebet ermöglichten. 22
In Westeuropa gerieten viele römische Bäder in Verfall. Das öffentliche Badehaus kehrte jedoch im späten Mittelalter in vollem Schwung zurück, als eine neue Phase der Urbanisierung einsetzte. 232425 Im 13., 14. und 15. Jahrhundert gab es in vielen europäischen Städten ein öffentliches Badehaus für etwa 2000 bis 5000 Bürger,26 viele davon waren Dampfbäder nach dem Vorbild des Hammam. Eine zweite Art von Badehäusern bestand aus hölzernen Wannen, in denen eine kleine Gruppe von Menschen Platz fand. Das mittelalterliche Badehaus war auch als „Eintopf“ bekannt, was sich auf den Ofen bezieht, der entweder das Wasser für die Wannen erhitzte oder den Raum mit Dampf füllte. 2325
Nordeuropa und Russland - die nie von römischen oder islamischen Mächten erobert wurden - hielten an Schweiß- und Heißluftbädern fest. So gab es zum Beispiel im Mittelalter in Städten im Großfürstentums Moskaus öffentliche “Banjas”. 12 Auch in Asien entwickelten sich eigenständige Badekulturen. Im spätmittelalterlichen Japan zum Beispiel teilten sich die Menschen aus wirtschaftlichen Gründen private Bäder unter Familien, Nachbarn und Freunden. Für diese „Gemeinschaftsbäder“ von meist vier bis zehn Personen brachte jeder Badegast eine Portion Brennholz mit, um das Wasser zu erhitzen. Aus dieser Praxis entwickelten sich größere öffentliche Bäder - „sento“ -, die ab dem fünfzehnten Jahrhundert ein rasches Wachstum erlebten. 2728
Baden als Vergnügen
Heutzutage betrachten Umweltschützer, die für kürzeres oder selteneres Duschen plädieren, das Baden implizit als eine rein zweckmäßige Praxis. Im Laufe der Geschichte ging es beim Baden jedoch nie nur um Hygiene. Die Menschen wurden nicht nur sauber, sondern besuchten öffentliche Bäder auch, um sich zu entspannen, sich zu amüsieren und Kontakte zu knüpfen. Das Baden - in welcher Form auch immer - war keine schnelle Angelegenheit, sondern zog sich oft über Stunden hin. 1528
Die alten Griechen saßen in einzelnen Badewannen zusammen und unterhielten sich, wofür die Akustik des Raums optimal ausgelegt war. 29 Im antiken Rom waren die öffentlichen Bäder Orte, an denen sich die Menschen fast täglich aufhielten, um gesehen zu werden, sich zu unterhalten, zu entspannen, zu tratschen, zu speisen, Sport zu treiben oder zu lernen. Die Badegäste nahmen Schönheitsbehandlungen wie Massagen, Rasieren, Frisieren und Enthaaren in Anspruch. Sie feierten Feste und Jubiläen und ehrten ausländische Gäste. 1517192530
Das Baden - in welcher Form auch immer - war keine schnelle Angelegenheit, sondern zog sich oft über Stunden hin.
Das mittelalterliche europäische Badehaus knüpfte an diese Traditionen an, wenn auch weniger prunkvoll, aber nicht unbedingt mit weniger Ausgelassenheit. Insbesondere die mittelalterlichen Badehäuser mit hölzernen Wannen waren oft ein Ort der Unterhaltung, an dem auch Essen, Trinken, Musik und verschiedene Arten der Körperpflege angeboten wurden. 23 In Japan wurden im 16. Jahrhundert öffentliche Bäder zu Orten der Begegnung und des geselligen Beisammenseins, an denen große Gruppen von Menschen aßen, tranken und sangen. 2728 Das Baden in Flüssen, das bis ins 20. Jahrhundert in den Städten und auf dem Land fortgesetzt wurde, war eine Art Spiel, bei dem das Schwimmen ein mögliches Element war. 31
Gleichzeitig wurde das Baden zur Vorbeugung und Heilung von Krankheiten als unentbehrlich angesehen, denn es folgte der hippokratischen Vorstellung, dass der Mensch das Gleichgewicht der Körperflüssigkeiten aufrechterhalten oder wiederherstellen konnte, indem er den Körper kalten, heißen, feuchten oder trockenen Bedingungen aussetzte. Die Gestaltung der vorindustriellen Bäder spiegelte diese Vorstellungen wider und wies Becken und Räume mit unterschiedlichen Temperaturen auf. 1521
Gemeinsamer Luxus
Während diese Elemente des Vergnügens, der sozialen Interaktion und der Gesundheit auch heute noch in Mineralbädern zu finden sind, gibt es einen entscheidenden Unterschied zu früheren Badegewohnheiten. Das heutige Thermalbad ist viel zu teuer, um ein privates Bad zu ersetzen. Im Gegensatz dazu war das historische öffentliche Badehaus eine egalitäre Einrichtung.
Römische öffentliche Bäder verlangten keinen oder nur einen geringen Eintritt und waren für jedermann zugänglich. Es gab keine Bereiche, die höher gestellten Gästen vorbehalten waren. In Verbindung mit der prächtigen Architektur und der üppigen Dekoration der Bäder war damit sichergestellt, dass auch der einfache Bedienstete in den Genuss von Luxus kam. 151719 Diese Bräuche setzten sich bis ins europäische Mittelalter fort und wurden von Badekulturen in der ganzen Welt übernommen. 23 In Japan zum Beispiel trug das Badehaus dazu bei, „die bestehende soziale Hierarchie langsam zu dekonstruieren und einen neuen kulturellen Fluss zwischen der Elite und dem einfachen Volk zu schaffen.“ 2832
Die einzige Trennung fand zwischen Männern und Frauen statt, und sie war bei weitem nicht überall in Raum und Zeit gültig. Sie gingen entweder in verschiedene Badehäuser, besetzten verschiedene Abteilungen oder teilten sich dieselben Räume zu verschiedenen Tageszeiten oder in der Woche. 1215171923
Der Heizbedarf römischer Badehäuser
Wie nachhaltig war dieser gemeinschaftliche Luxus? Die meisten Forschungsarbeiten über den Energieverbrauch von Badehäusern beziehen sich auf die antiken römischen Bäder. Historiker haben die großen Badehäuser des Imperiums bisweilen als verschwenderisch dargestellt und argumentiert, dass ihre weit verbreitete Nutzung zur Abholzung der Wälder führte. 333435 In den letzten Jahren haben jedoch archäologische Forschungen, thermische Analysen und Wärmeübertragungsstudien immer deutlicher gemacht, dass die antiken römischen Badehäuser trotz ihrer Üppigkeit bemerkenswert energieeffiziente Gebäude waren. 3633
Der erste Grund war das Hypokaustensystem. Es bestand aus einem oder mehreren unterirdischen Öfen, die heiße Luft unter dem Fußboden und in die hohlen Wände leiteten (einige Bäder hatten auch beheizte Decken). Aufgrund der großen Strahlungsflächen konnten die Räume im Gebäude mit einer niedrigeren Temperatur beheizt werden, was Energie sparte. Obwohl das Wasser für die Becken regelmäßig in einem isolierten Kessel in der Nähe des Ofens erwärmt wurde, trug die Wärme in den Böden und Wänden dazu bei, es über einen längeren Zeitraum warm zu halten. 3633
Eine Untersuchung der Stabianer Thermen, einer der ältesten erhaltenen Thermen, zeigt einen Brennstoffverbrauch von 5 bis 8 kg Brennholz pro Stunde, je nach Jahreszeit. 3637 Das entspricht einem Holzvorrat von etwas mehr als 60 Eschen pro Jahr, was kaum zu Entwaldung führen durfte. 36 Der Brennholzverbrauch war wahrscheinlich sogar noch geringer, da die römischen Bäder das Holz routinemäßig durch andere lokal verfügbare Brennstoffe ergänzten, bei denen es sich häufig um Abfallprodukte handelte: Schilf, Erntereste (Olivenkerne, Obstbaumschnitt, Spreu) und tierische Abfälle (Dung und Knochen). 33
Viele römische Bäder wurden an sonnigen Tagen fast ausschließlich durch Sonneneinstrahlung beheizt.
Mit der gleichen Methodik zeigt eine Untersuchung eines späteren Badekomplexes - der Forumsthermen in Ostia - dass die Römer die Energieeffizienz ihrer Badehäuser kontinuierlich verbesserten. 3839 Die Forumsthermen waren dreimal so groß wie die Stabianer Thermen - 923 m2 gegenüber 310 m2 beheizter Fläche -, aber ihr berechneter jährlicher Holzverbrauch ist nicht einmal doppelt so hoch: etwa 100 Bäume pro Jahr. 3836 Das neuere Badehaus hatte dickere Wände (zwei Meter statt einem Meter) und viel größere verglaste Fenster, die den Anteil der Sonneneinstrahlung erhöhten. 40 Frühere Untersuchungen hatten ergeben, dass die Bäder des Forums an sonnigen Tagen fast ausschließlich durch Sonnenenergie beheizt wurden. 41
In den oben genannten Studien wird davon ausgegangen, dass die Römer ihre Bäder täglich 24 Stunden lang beheizten und sie nur zu Wartungszwecken abschalteten. Römische Badehäuser wurden wahrscheinlich auch in der Nacht beheizt, da dies praktischer und energieeffizienter war. Viele Bäder waren täglich geöffnet, und es konnte einen ganzen Tag dauern, sie aus dem kalten Zustand aufzuheizen. In späteren Jahrhunderten nutzten mittelalterliche Badehäuser und Hammams oft die Hitze oder die Asche des Ofens, um nachts Brot und andere Speisen zu backen. 42 Hammams und mittelalterliche Badstuben waren weniger energieeffizient als römische Bäder. Hammams hatten beheizte Fußböden, aber keine beheizten Wände und nur wenige Fenster, während mittelalterliche Badehäuser oft keines dieser Merkmale aufwiesen.
Römisches Badehaus versus private Dusche
Wie schneidet das römische Badehaus im Vergleich zur modernen Dusche in puncto Energieverbrauch ab? Die akademische Forschung liefert darauf zwar keine Antwort, aber eine schnelle Berechnung zeigt, dass das römische Badeerlebnis, welches sich stundenlang hinzog, energieeffizienter war als die heutige Dusche, die im Durchschnitt nur 9 Minuten dauert. Der tägliche Energieverbrauch der Bäder des Forums entspricht in etwa dem von 557 Duschgängen. 43 Wir wissen zwar nicht, wie viele Menschen die Forumsthermen täglich besuchten, aber wahrscheinlich waren es mehr: Die Thermen konnten bis zu 500 Badegäste gleichzeitig aufnehmen. 44
Das römische Badeerlebnis, welches sich über Stunden hinzog, war energieeffizienter als die heutige private Dusche, die im Durchschnitt 9 Minuten dauert.
Darüber hinaus bezieht sich der Energieverbrauch für die Dusche in der obigen Berechnung nur auf die Wassererwärmung, während der Brennstoffverbrauch für die öffentlichen Bäder auch - und hauptsächlich - die Raumheizung umfasst. 36 Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass das Wasser in den Becken der Stabianer Thermen nur einmal am Tag gewechselt wurde, machte die Wassererwärmung weniger als 10 % des gesamten Energieverbrauchs aus, was dem Equivalent von nur 52 Duschen entspricht. Der niedrige Energieverbrauch für die Wassererwärmung erklärt sich zum Teil durch die hervorragende Wärmedämmung der beheizten Böden und Wände, so dass Raum- und Wassererwärmung nicht voneinander getrennt werden können. Es liegt aber auch daran, dass die Römer das Wasser in Becken gemeinsam nutzten, während für jede Dusche frisch erwärmtes Wasser benötigt wird.
Das römische Badehaus ist auch mit der typischen Hinterhofsauna vergleichbar, bei der der Brennstoffverbrauch zwischen 5 und 15 kg Brennholz pro Ofengang schwankt. 45 Nur sechzehn solcher Saunagänge erfordern so viel Brennstoff wie die Stabianischen Thermen an einem Tag verbrauchten. Die Sauna hat keinen beheizten Boden und keine beheizten Wände. Außerdem wurde sie in der Vergangenheit oft teilweise unterirdisch gebaut, um Brennstoff zu sparen, aber heutzutage ist sie in der Regel ein schlecht isoliertes Gebäude, das in einem kalten Klima steht.
Die öffentlichen Bäder der industriellen Revolution
Die Badegewohnheiten haben sich seit der Zeit der Römer und des späten Mittelalters stark verändert, vor allem in den meisten Ländern der westlichen Welt. Nur wenige von uns haben die Zeit oder auch nur das Bedürfnis, täglich mehrere Stunden in einem Badehaus zu verweilen, und einige von uns fühlen sich beim Baden in der Öffentlichkeit vielleicht unwohl. 30 Ein Badehaus kann jedoch auch eine Form annehmen, die den modernen Badegewohnheiten besser entspricht. Das öffentliche Badehaus der Industriellen Revolution ist ein Beispiel dafür.
Im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert nahmen die Städte eine große Zahl von Einwanderern auf, die in Fabriken arbeiten wollten. Die meisten dieser Menschen wurden in überfüllten Mietskasernen ohne fließendes Wasser untergebracht, was zu unhygienischen Verhältnissen führte. 46 Wiederkehrende Epidemien und neue medizinische Erkenntnisse führten zu einem „Evangelium der Sauberkeit“, das in der gesamten westlichen Welt zu einer neuen Welle öffentlicher Badehäuser führte. Viele dieser Bäder verschwanden erst zwischen den 1950er und 1980er Jahren.
Die öffentliche Hygienebewegung begann in England und erreichte dort in den 1840er Jahren ihren Höhepunkt. Bis 1896 unterhielten mehr als 200 Gemeinden in Großbritannien öffentliche Bäder. Das englische Badehaus ahmte in seiner Architektur und Dekoration die Pracht der römischen Bäder nach: Es war „groß, schön und kostspielig“. 46 Es kopierte jedoch nicht die antiken Badegewohnheiten. Die verschiedenen Abteilungen des Badehauses waren nun für unterschiedliche Gesellschaftsschichten reserviert. Während die Becken immer noch für soziale Interaktion sorgten, waren die Wannen nun in einzelnen Abteilungen untergebracht. Schließlich wurden im modernen Badehaus zeitliche Begrenzungen für die Benutzung des Beckens und der Wannen eingeführt. 464748
Das Dusch-Badehaus
Deutschland, das den Briten als erstes Land auf dem Kontinent folgte, baute ebenfalls monumentale Badehäuser. 49 In den 1880er Jahren argumentierte der Berliner Arzt Oscar Lasser jedoch, dass die großen Bäder zu kostspielig seien, um sie in der erforderlichen Anzahl zu bauen. Er schlug die Einführung kleinerer Badehäuser vor, die nur Duschen in einzelnen Abteilen enthielten. Bis dahin war die Dusche nur an eine Badewanne angeschlossen oder wurde in Kasernen und Gefängnissen verwendet, wo Soldaten und Häftlinge mit kaltem Wasser abgeduscht wurden. 484625
Das Dusch-Badehaus wurde in den meisten westeuropäischen Ländern und auch in Nordamerika, wo die Sanitärreformbewegung in den 1890er Jahren einsetzte, zum vorherrschenden öffentlichen Badetyp. 5051 Die letzten Überreste der antiken Badekultur wurden beseitigt, indem man die Becken abschaffte und zu einer praktischeren Architektur überging. Im Guten wie im Schlechten war das öffentliche Badehaus der Industriellen Revolution die „Antithese zum vorindustriellen Badehaus“. 47 Obwohl die Badenden immer noch die gemeinschaftliche Infrastruktur nutzten, gab es keinen Raum mehr für Vergnügen, soziale Interaktion, öffentliche Nacktheit und soziale Durchmischung.
Im Guten wie im Schlechten: Das öffentliche Badehaus der industriellen Revolution war das Gegenteil des vorindustriellen Badehauses.
Da die höheren Gesellschaftsschichten allmählich Zugang zu eigener Wasserversorgung und eigenen Badezimmern erhielten, wurde das öffentliche Bad zunehmend mit Armut assoziiert. Obwohl die Duschbäder keine getrennten Abteilungen für verschiedene soziale Schichten hatten, wurden sie vor allem in einkommensschwachen Vierteln gebaut und richteten sich ausschließlich an die Armen. Die Badegäste wurden von einem Wärter zu ihrer Duschkabine geführt, der den Wasserhahn öffnete, die Wassertemperatur einstellte und eine Zeitschaltuhr startete. Die Menschen hatten höchstens 20 Minuten Zeit, um sich auszuziehen, zu duschen und wieder anzuziehen. 4647 „Die Armen mussten sauber sein, durften es aber nicht allzu sehr genießen.“ 46
Sollte das öffentliche Badehaus zurückkehren?
In Europa und Nordamerika verschwand das öffentliche Badehaus, als jede und jeder sein eigenes Bad bekam — wenngleich wir in Sportzentren immer noch gemeinsam baden und in Jugendherbergen oder auf Campingplätzen weiterhin Gemeinschaftsräume benutzen. Das öffentliche Badehaus hat zwar andernorts überlebt, ist aber fast überall ein Auslaufmodell. So gab es beispielsweise in Kairo im Jahr 2000 nur noch acht Hammams, während es zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch mehr als siebzig waren. 5253 1968 gab es im Großraum Tokio 2,687 öffentliche Badehäuser. Im Jahr 2022 waren es nur noch 462. 5455
Historisch gesehen wurde das Badehaus aus der Notwendigkeit von Effizienz geboren: Das Baden war zu ressourcenintensiv, um es individuell zu organisieren. Das ist heute dank der Entwicklung zentraler Infrastrukturen - fossile Brennstoffe, Strom, Wasserversorgung, Kanalisation - nicht mehr der Fall. Im Kontext der gegenwärtigen Umweltkrise ist die Ressourceneffizienz der öffentlichen Badehäuser jedoch wieder relevant geworden. Es ist eine Möglichkeit, den Energieverbrauch relativ schnell zu senken, ohne dass neue Technologien erforderlich sind oder auf Komfort verzichtet werden muss. Widerstandsfähigkeit ist ein weiteres Argument für das Badehaus. 56
Welche Art von öffentlichem Badehaus wollen wir?
Die Metamorphose des öffentlichen Bades im 19. und 20. Jahrhundert, die auch die öffentlichen Bäder außerhalb der westlichen Welt betraf, stellt eine Herausforderung für all diejenigen dar, die das öffentliche Bad im Sinne der Nachhaltigkeit wiederbeleben wollen. Welche Art von Badehaus wollen wir? Natürlich sind das römische Bad und das Duschbadehaus die beiden Extreme, und viele Zwischenformen sind denkbar. Dennoch wird jeder Architekt eines zukünftigen Badehauses Entscheidungen treffen müssen, die wahrscheinlich umstritten sein werden.
So könnte man zum Beispiel argumentieren, dass das Duschbadehaus nicht nur den modernen Badegewohnheiten entspricht, sondern auch die Ressourceneffizienz maximiert. Das gilt vor allem dann, wenn nicht der Badegast, sondern die Behörden die Duschdauer und die Wassertemperatur kontrollieren. Auf diese Weise könnte das öffentliche Badehaus zu einer Technologie werden, die der gesamten Bevölkerung Sparsamkeit aufzwingt. Ein solcher Ansatz dürfte jedoch, um es vorsichtig auszudrücken, kaum Begeisterung für die Wiederbelebung öffentlicher Badehäuser hervorrufen. Er trägt auch nicht gerade zur Verbesserung der sozialen Interaktion bei. 57
Jeder Architekt eines künftigen Badehauses wird Entscheidungen treffen müssen, die wahrscheinlich sehr umstritten sein werden.
Die Rückkehr zum vorindustriellen öffentlichen Badehaus, bei dem soziale Interaktion und gemeinschaftlicher Luxus im Mittelpunkt stehen, könnte die Menschen vielleicht eher von ihren privaten Badezimmern weglocken, aber es stößt auch auf Hürden. Das öffentliche Badehaus trifft seit 2.000 Jahren auf Widerstand, vor allem wegen unterschiedlicher Ansichten über Gesundheit und Moral. 58 Zum Beispiel ziehen sich Bedenken über Ausschweifungen und Prostitution - real und imaginär - durch die Geschichte des Badehauses in allen Kulturen. 59 Die Trennung von Männern und Frauen wird diesen Bedenken nicht vollständig gerecht.
Jedes Plädoyer für die Wiederbelebung öffentlicher Bäder wird sich auch mit der Furcht vor ansteckenden Krankheiten befassen müssen. Ein „Lockdown“ der Gesellschaft, wie ihn viele Regierungen während der Coronavirus-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021 anwandten, ist beispielsweise mit öffentlichen Bädern unvereinbar. Eine solche Maßnahme funktioniert nur, wenn jeder ein eigenes Bad hat. 60 Der Zusammenhang zwischen gemeinschaftlichem Baden und Gesundheit ist äußerst komplex. Die Wissenschaft hat viele der gesundheitlichen Vorteile von Kalt-, Heiß- und Dampfbädern bestätigt und auch die Wichtigkeit sozialer Interaktion aufgezeigt. Das Zusammenkommen von Menschen birgt jedoch immer auch Gesundheitsrisiken.
Wie baut man ein Low-Tech-Badehaus?
Es gibt noch einen weiteren Unterschied zwischen Badehäusern, die vor und nach der industriellen Revolution gebaut wurden: Vorindustrielle Bäder nutzten erneuerbare Brennstoffe, während industrielle Bäder mit fossilen Brennstoffen betrieben wurden. Viele moderne Badehäuser hatten ein eigenes Kohlekraftwerk, das den Raum und das Wasser beheizte und Strom für die Beleuchtung lieferte. Fossil betriebene Badehäuser sind energieeffizienter als mit fossilen Brennstoffen betriebene Badezimmer - aber es geht natürlich noch besser als das.
Ein großes Badehaus, das mit einer Hypokaustenanlage und großen Fenstern beheizt wird, ist als kohlenstoffneutrale Technologie immer noch unschlagbar, zumindest bei nachhaltiger Holzproduktion. 6162 Allerdings führt die Verbrennung von Biomasse zu Luftverschmutzung, während man ein Badehaus auch mit erneuerbaren Energiequellen betreiben könnte, die dieses Problem nicht haben. Die naheliegendste Lösung für die Raum- und Wasserheizung sind Flachkollektoren, in denen die Sonne das Wasser erwärmt. In weniger sonnigen Klimazonen sind wärmeerzeugende Windmühlen eine technisch einfache Alternative zu solarthermischen Kollektoren. 63 Andere potenzielle Wärmequellen sind geothermische Energie und die Abwärme von Fabriken.
Fossil betriebene Badehäuser sind energieeffizienter als mit fossilen Brennstoffen betriebene Badezimmer — aber es geht noch besser als das.
Der größte Nachteil eines solar- oder windbetriebenen Badehauses ist seine Abhängigkeit von günstigen Wetterbedingungen. Um dies auszugleichen, kann Solar- oder Windenergie mit thermischer Energiespeicherung kombiniert werden, beispielsweise mit isolierten Wassertanks. Die Speicherung von Wärme in einer thermischen Masse über längere Zeiträume ist viel billiger und nachhaltiger als die Speicherung von Strom in chemischen Batterien. Allerdings wird dafür Platz benötigt, den nur gemeinschaftliche Bäder bieten können. Dampfbäder und Saunen sind schwieriger von der Verbrennung von Biomasse abzukoppeln, aber es gibt einige innovative Beispiele. 64
Die Bündelung von Badeeinrichtungen in einer gemeinsamen Infrastruktur schafft auch Platz für eine umfassende Wärmedämmung eines Badehauses (ein entscheidender Faktor für den Energieverbrauch) und für die Wasserversorgung (z. B. durch Auffangen und Speichern von Regenwasser) sowie für die Abwasserbehandlung (z. B. durch Phytosanierung mit Pflanzen).
Architekten haben einige dieser Ideen in Ländern umgesetzt, in denen es noch öffentliche Bäder gibt. In einem Bergdorf in China zum Beispiel ist ein Gemeinschaftsbad für 5.000 Menschen weitgehend autark. Das Wasser wird aus einem Brunnen gepumpt, mit Solarkollektoren erhitzt und das Abwasser aus den Duschen und Toiletten in mit Bambuspflanzen gefüllten Becken gefiltert. 65
Ein öffentliches Badehaus passt jedoch auch zu einer Hightech-Vision einer zentralisierten Energieinfrastruktur auf der Grundlage von PV-Solarzellen und Windturbinen, die Strom liefern. In einer solchen Konfiguration könnten öffentliche Badehäuser an sonnigen oder windigen Tagen überschüssigen Strom aufnehmen. Anstatt den Strom aus überschüssiger Sonnen- und Windenergie zu drosseln, könnten wir ihn für den Betrieb elektrischer Wärmepumpen nutzen und die Wärme in der thermischen Masse der öffentlichen Bäder speichern. 66 Dieser Ansatz ist zwar weniger ressourceneffizient als Bäder, die ohne Strom betrieben werden, aber immer noch besser als ein Szenario, in dem ein zentrales Netz für erneuerbare Energien eine Vielzahl von einzelnen Badezimmern mit Energie versorgt.
Kris De Decker
Vielen Dank an Jonas Görgen und Elizabeth Shove für ihr Feedback zu einer früheren Version dieses Artikels.
Marie Verdeil und Roel Roscam Abbing haben zur Auswahl der Bilder beigetragen.