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Manche Lichter anlassen: eine Neudefinition der Sicherheit der Energieversorgung

Um die Sicherheit der Energieversorgung zu erhöhen, müssen wir die Zuverlässigkeit der Infrastruktur verringern.

Es ist unmöglich, eine stetige Versorgung mit einem endlichen Gut dauerhaft aufrechtzuerhalten.Image: Camilla MP.
Es ist unmöglich, eine stetige Versorgung mit einem endlichen Gut dauerhaft aufrechtzuerhalten.Image: Camilla MP.
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Während eine Gesellschaft für ihr tägliches Funktionieren mehr und mehr von Energiequellen abhängt, wird sie für Unterbrechungen der Energieversorgung anfälliger. Diese offensichtliche Tatsache wird in den aktuellen Strategien zur Sicherheit der Energieversorgung ignoriert, was diese Strategien kontraproduktiv macht.

Was bedeutet „Sicherheit der Energieversorgung“?

Was bedeutet es für eine Gesellschaft, einen Zustand der “sicheren Energieversorgung” zu erreichen? Obwohl es mehr als vierzig verschiedene Definitionen dieses Konzepts gibt, haben sie alle das grundsätzliche Kriterium gemein, dass das Angebot an Energieversorgung immer die Nachfrage nach Energie erfüllen sollte. Das impliziert auch, dass die Energieversorgung konstant sein soll - es darf keine Versorgungsunterbrechungen geben. 1 2 3 4 Die internationale Energieagentur (IEA, international energy agency) definiert Sicherheit der Energieversorgung beispielsweise als “die ununterbrochene Verfügbarkeit von Energiequellen zu einem günstigen Preis”; das US-Ministerium für Energie und Klimawandel (DECC, department of energy and climate change) definiert das Konzept durch die Bedeutung, dass “die Risiken der Unterbrechung der Energieversorgung niedrig” sein sollen; und die EU definiert sie über eine “stabile und üppige Versorgung mit Energie”. 5 6 7

Historisch wurde eine Sicherheit der Energieversorgung über die Sicherung des Zugangs zu Wäldern und Torfmooren für thermische Energie, und zu Menschen-, Tier-, Wind- oder Wasserkraft als Quellen für mechanische Energie hergestellt. Mit dem Beginn der industriellen Revolution verschob sich der Begriff der Sicherheit der Energieversorgung zur Versorgung mit fossilen Brennstoffen. Als theoretisches Konzept ist die Sicherheit der Energieversorgung am engsten verbunden mit den Ölkrisen der 1970er Jahre, als Embargos und Preismanipulationen die Verfügbarkeit von Ölprodukten in westlichen Staaten begrenzten. Es ist eine Folge dieser Zeit, dass die meisten Industriestaaten immer noch Ölreserven in Höhe eines mehrmonatigen Verbrauchs vorhalten.

Obwohl das Öl für industrialisierte Länder vor allem für den Transport- und Agrarsektor so wichtig ist wie in den 1970ern, hat man inzwischen erkannt, dass Sicherheit der Energieversorgung in modernen Gesellschaften auch mit anderen Infrastrukturen zu tun hat, zum Beispiel denen zur Versorgung mit Gas, Strom und sogar Daten. Darüberhinaus sind diese Infrastrukturen in zunehmendem Maße verbunden und hängen voneinander ab. Gas ist zum Beispiel ein wichtiger Brennstoff zur Stromgewinnung, während Stromversorgung zum Betrieb von Gaspipelines notwendig ist. Das Stromnetz ist eine Voraussetzung zum Betrieb von Datennetzen, und Datennetze sind nötig, um Stromnetze zu verwalten.

Das Stromnetz ist eine Voraussetzung zum Betrieb von Datennetzen, und Datennetze sind nötig, um Stromnetze zu verwalten.

Dieser Artikel untersucht das Konzept der Sicherheit der Energieversorgung mit einem schwerpunktmäßigen Blick auf das Stromnetz, welches für industrialisierte Gesellschaften genauso lebenswichtig geworden ist wie Öl. Die Elektrifizierung wird außerdem als ein Weg gesehen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren - man denke nur an Elektroautos, Wärmepumpen und Windkraftwerke.

Die “Sicherheit” oder “Zuverlässigkeit” eines Stromnetzes kann mit Indikatoren der Kontinuität genau bestimmt werden, so wie zum Beispiel der Wahrscheinlichkeit des Lastverlusts (LOLP, loss-of-load probability) und dem Index für durchschnittliche Systemunterbrechungsdauer (SAIDI, system average interruption duration index). Mithilfe dieser Indikatoren kann man nur zum Schluss kommen, dass die Stromnetze in industrialisierten Ländern sehr sicher sind. In Deutschland beispielsweise ist elektrische Energie 99,996% der Zeit verfügbar, das bedeutet eine Unterbrechung der Versorgung für weniger als eine halbe Stunde pro Kunde pro Jahr. 8 Selbst die Länder mit der schlechtesten Verfügbarkeit in Europa (Lettland, Polen, Litauen) haben Versorgungsunterbrechungen von nur acht Stunden pro Kunde pro Jahr, was einer Verfügbarkeit von 99,90% entspricht. 8 Das Stromnetz der USA liegt zwischen diesen beiden Werten, mit Unterbrechungen von weniger als vier Stunden pro Kunde pro Jahr (99,96% Verfügbarkeit). 9

Wie sicher ist ein Stromnetz mit erneuerbaren Energien?

So wie die Infrastrukturen derzeit betrieben werden, leben wir mit der Vorstellung, dass Kunden Zugang zu soviel Strom, Gas, Öl, Daten oder Wasser haben können und auch sollen, wie sie möchten, wann sie möchten, und wie lange sie möchten. Die einzige Bedingung ist, dass sie die Rechnung bezahlen. Wenn wir uns den Versorgungssektor anschauen, ist diese Vision von Sicherheit der Energieversorgung aus verschiedenen Gründen ziemlich problematisch. Zunächst einmal sind die meisten Quellen, auf denen sich die Stromversorgung aufbaut, endlich - und es ist natürlich nicht möglich, eine stetige Versorgung mit einem endlichen Gut auf Dauer aufrechtzuerhalten. Auf lange Sicht muss diese Strategie zur Aufrechterhaltung eine sicheren Energieversorgung versagen. Auf kürzere Sicht kann sie das Klima schädigen und bewaffnete Konflikte herbeiführen.

Die internationale Energieagentur (IEA), welche nach der ersten Ölkrise in den frühen 1970er Jahren gegründet wurde, fördert den Einsatz von erneuerbaren Energiequellen, um die Energieversorgung zu diversifizieren, also auf mehrere Beine zu stellen, und langfristig so ihre Sicherheit zu verbessern. Ein Stromnetz mit erneuerbaren Energien ist weder abhängig von Energieimporten aus dem Ausland, noch empfindlich gegenüber Manipulationen der Treibstoffpreise - welche in einer Infrastruktur basierend auf fossilen Brennstoffen zu den Hauptsorgen gehören. Solarpanels und Windkraftwerke haben natürlich eine begrenzte Lebensdauer und müssen hergestellt werden, wozu auch Ressourcen erforderlich sind, welche aus dem Ausland kommen oder die selbst irgendwann erschöpft sein können. Sobald sie installiert sind, sind erneuerbare Energiesysteme aber “sicher” auf eine Weise und für eine Zeitspanne, wie das für fossile Brennstoffe (und auch für Atomenergie) nicht der Fall ist.

Erneuerbare Energiequellen bedeuten grundsätzliche Herausforderungen für das aktuelle Verständnis von Sicherheit der Energieversorgung

Darüberhinaus bieten Solar- und Windenergie mehr Sicherheit gegen Systemausfälle und Sabotage, und dies sogar noch mehr, wenn die Systeme dezentralisiert sind. Kraftwerke für erneuerbare Energie haben niedrigere laufende CO2-Emissionen als fossil betriebene. Durch den Klimawandel verursachte Extremwetterereignisse bedrohen selbst auch die Sicherheit der Energieversorgung. Trotz all dieser Vorteile bedeuten erneuerbare Energiequellen aber auch grundsätzliche Herausforderungen für das aktuelle Verständnis der Versorgungssicherheit. Am wichtigsten dabei ist die Feststellung, dass die Energiequellen mit dem größten Potenzial - Sonne und Wind - nur mit Unterbrechungen verfügbar sind und außerdem vom Wetter und den Jahreszeiten abhängen. Das bedeutet, dass Sonnen- und Windenergie nicht das Kriterium erfüllen, welches alle Definitionen von Sicherheit der Energieversorgung für essenziell halten: die Notwendigkeit ununterbrochener und unbegrenzter Verfügbarkeit von Energie.

Image: Eduard Bezembinder.
Image: Eduard Bezembinder.
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Die Zuverlässigkeit eines Stromnetzes mit hohem Anteil von Solar- und Windenergie läge signifikant niedriger als die heutigen Standards zur Verfügbarkeit. 10 11 12 13 14 In einem solchen erneuerbaren Stromnetz könnte eine Stromversorgung rund um die Uhr nur zu sehr hohen Kosten gewährleistet werden, da dazu eine umfangreiche Infrastruktur für Energiespeicherung, -Übertragung und Spitzenlastkapazität nötig wären. Durch diese zusätzliche Infrastruktur könnte die Nachhaltigkeit eines erneuerbaren Stromnetzes zunichte gemacht werden, denn oberhalb einer bestimmten Schwelle werden für den Aufbau, die Installation und Wartung dieser Infrastruktur größere Mengen an fossiler Energie aufgewendet, als durch den Betrieb der Solarpanels und Windkraftwerke über ihre Lebendauer eingespart werden können.

Quellen erneuerbarer Energie wie Wind und Sonne haben Vorteile, die von den gängigen Definitionen von Sicherheit der Energieversorgung nicht erfasst werden

Unterbrechungen sind nicht der einzige Nachteil erneuerbarer Energiequellen. Obwohl viele Medien und Umweltorganisationen ein Bild von Solar- und Windenergie als hochverfügbare Energiequellen zeichnen (“die Sonne strahlt in einer Stunde mehr Energie auf die Erde, als auf der ganzen Welt in einem Jahr verbraucht wird”), ist die Wirklichkeit komplexer. Die Brutto-Verfügbarkeit von Sonnen- und Windenergie ist in der Tat enorm. Aufgrund ihrer niedrigen Energiedichte werden aber um Größenordnungen mehr Material und Fläche gebraucht als bei fossilthermischen Kraftwerken, um diese Energie nutzbar zu machen, und zwar selbst dann noch, wenn der Bergbau und Transport der fossilen Brennstoffe diesen zugerechnet wird. 15 Daher kann ein erneuerbares Stromnetz selbst bei optimalen Wetterbedingungen nicht garantieren, dass Verbraucher Zugang zu soviel elektrischer Energie erhalten wie sie wollen.

Wie sicher ist ein Inselnetz?

Die heutigen Regeln für Energieversorger versuchen, drei Ziele unter einen Hut zu bringen: eine ununterbrochene und unbegrenzte Stromversorgung, günstige Verbraucherstrompreise und Nachhaltigkeit. Ein Stromnetz, welches hauptsächlich auf fossilen Brennstoffen und Atomenergie aufgebaut ist, kann das Nachhaltigkeitsziel nicht erreichen, und es kann die anderen Ziele nur solange erreichen, wie ausländische Zulieferer die Versorgung aufrechterhalten und die Preise der Grundstoffe konstant halten (oder solange, bis die nationalen oder internationalen Reserven erschöpft sind).

Ein Stromnetz basierend auf erneuerbaren Energiequellen kann diese drei Ziele aber genausowenig in Einklang bringen. Um eine uneingeschränkte 24/7-Verfügbarkeit zu erreichen, muss die Infrastruktur überdimensioniert werden, wodurch sie teuer und weniger nachhaltig wird. Ohne eine solche Infrastruktur könnte ein erneuerbares Stromnetz zwar günstig und nachhaltig Strom liefern, aber es könnte niemals eine uneingeschränkte Verfügbarkeit rund um die Uhr bieten. Wenn wir also eine Infrastruktur zur Stromlieferung wollen, die günstig und nachhaltig ist, müssen wir das Konzept der Sicherheit der Energieversorgung neu definieren - und das Kriterium der unbegrenzten und unterbrechungsfreien Energieversorgung hinterfragen.

Wenn wir uns jenseits der typischen, großen, zentralisierten Infrastrukturen in industrialisierten Ländern umsehen, dann wird es klar, dass keineswegs alle Versorgungssysteme eine unbegrenzte Menge an Ressourcen liefern können. Mikroerzeugung in Inselnetzen - die lokale Erzeugung und Speicherung von elektrischer Energie mit Batterien und Solarpanels oder Windgeneratoren - ist ein Beispiel. Im Prinzip können Inselsysteme ohne Netzanschluss so dimensioniert werden, dass sie “immer an” sind. Dafür kann man sich an der “Methode des schlechtesten Monats” orientieren, wodurch die Erzeugungs- und Speicherkapazität zum Beispiel bei einer Solaranlage so überdimensioniert wird, dass das Energieangebot den Verbrauch auch an den kürzesten und dunkelsten Tagen des Jahres abdecken kann.

Wenn die Stromerzeugung zu allen Zeiten dem Verbrauch angepasst wird, wird ein Inselnetz dadurch sehr teuer und verliert seine Nachhaltigkeit, besonders in Klimazonen mit ausgeprägten Jahreszeiten

Genau wie es bei einem imaginären großen erneuerbaren Stromnetz der Fall wäre, wird ein Inselnetz sehr teuer, wenn die Stromerzeugung zu allen Zeiten nach dem maximalen Verbrauch dimensioniert wird, besonders in Klimazonen mit ausgeprägten Jahreszeiten. 16 17 18 Daher werden die meisten Inselsysteme ohne Netzanschluss nach einer Methode skaliert, die auf einen Kompromiss zwischen Zuverlässigkeit, wirtschaftlichem Aufwand und Nachhaltigkeit abzielt. Die “Bemessungsmethode nach Wahrscheinlichkeit des Lastausfalls” spezifiziert eine Anzahl von Tagen pro Jahr, an welchen die Versorgung die Nachfrage nicht abdeckt. 19 20 21 Mit anderen Worten: das System wird nicht nur nach einer vorhergesagten Energienachfrage skaliert, sondern auch nach dem verfügbaren Budget und Bauraum.

Image: Stephen Yang / The Solutions Project.
Image: Stephen Yang / The Solutions Project.
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Wenn ein System ohne Netzanschluss auf diese Weise bemessen wird, führt das zu einer signifikaten Kosteneinsparung, selbst wenn der Parameter Verfügbarkeit nur wenig zurückgefahren wird. Die Kalkulation für ein Inselnetz in einem Haus in Spanien zeigt zum Beispiel, dass durch das Zurückfahren der Verfügbarkeit von 99,75% auf 99,0% die Anschaffungskosten um 60% geringer ausfallen, mit entsprechendem Nutzen für die Nachhaltigkeit durch geringeren Materialeinsatz. Die Versorgung wäre für 87,6 Stunden pro Jahr unterbrochen, verglichen mit 22 Stunden für das System mit höherer Verfügbarkeit. 16

Gemäß dem derzeitigen Verständnis der Versorgungssicherheit gelten Inselnetze, welche auf diese Art skaliert sind, als Versager: die Verfügbarkeit der Energieversorgung deckt nicht immer die Nachfrage. Tatsächlich scheinen Menschen, die Inselnetze betreiben, sich aber nicht über Energiemangel zu beklagen - ganz im Gegenteil. Dafür gibt es einen einfachen Grund: sie passen ihre Nachfrage einer begrenzten und manchmal unterbrochenen Versorgung an.

In ihrem Buch Off-the-Grid: Re-Assembling Domestic Life aus dem Jahr 2015 dokumentieren Phillip Vannini und Jonathan Taggart ihre Reise durch Kanada, auf der sie Menschen in etwa 100 Haushalten ohne Netzanschluss befragt haben. 22 Mit eine ihrer wichtigsten Beobachtungen ist es, dass Menschen mit Energieversorgung im Inselnetz insgesamt weniger Strom verbrauchen und routinemäßig ihre Energienutzung dem Wetter und den Jahreszeiten anpassen.

Menschen in einer selbstgewählten Inselsituation nutzen insgesamt weniger Strom und passen routinemäßig ihre Energienutzung dem Wetter und den Jahreszeiten an.

Waschmaschinen, Staubsauger, Elektrowerkzeuge, Toaster oder Spielkonsolen werden entweder gar nicht genutzt, oder aber nur während Phasen sehr guter Energieversorgung, wenn die Speicherbatterien bereits voll aufgeladen sind. Bei bedecktem Himmel ändern Menschen in Inselnetzen ihr Nutzungsverhalten, um weniger Leistung zu verbrauchen und so noch Energie für den folgenden Tag übrig zu haben. Vannini und Taggart beobachten ebenfalls, dass Inselnutzer sich mit einem Niveau von Beleuchtung und Heizung zufriedengeben, welches von den typischen Standards abweicht, die viele Menschen in der westlichen Welt inzwischen voraussetzen. Dies zeigt sich oft daran, dass Aktivitäten bewusst um zentrale Quellen von Wärme und Licht herum verlagert werden. 22

Ähnliche Beobachtungen kann man an Orten machen, wo die Menschen unfreiwillig von Infrastrukturen abhängen, die nicht immer in Betrieb sind. Wenn in weniger industrialisierten Ländern Wasser-, Strom- und Datennetze vorhanden sind, dann weisen diese oft mehr oder weniger häufige Versorgungsausfälle auf. 23 24 25 Trotz der niedrigen Zuverlässigkeit dieser Infrastrukturen - jedenfalls gemäß den typischen Indikatoren der Versorgungssicherheit - geht das Leben weiter. Die täglichen Haushaltsroutinen werden um Versorgungsunterbrechungen herum organisiert, welche als normal und als akzeptierter Teil der Lebensrealität gesehen werden. Wenn zum Beispiel Strom, Wasser oder Internet nur zu bestimmten Stunden des Tages verfügbar sind, werden Hausarbeiten entsprechend für diese Zeit geplant. Insgesamt verbrauchen die Menschen auch weniger Energie: die Infrastruktur erlaubt einfach keinen ressourcenintensiven Lebensstil. 23

Verfügbarer, aber weniger sicher?

Die sehr hohe Verfügbarkeit der Energieversorgungsnetze in industrialisierten Gesellschaften wird begründet durch eine Bewertung mit dem “Wert des Lastverlusts” (value of lost load). Dieser setzt finanzielle Verluste durch Energiemangel in Beziehung zu den zusätzlichen Investitionen, die nötig wären um diesen Mangel zu verhindern. 110 26 27 28 29 Allerdings hängt der Wert des Lastverlusts stark davon ab, wie eine Gesellschaft organisiert ist. Je höher die Abhängigkeit von der Stromversorgung, desto höher werden die finanziellen Folgen von Stromausfällen sein.

Aktuelle Definitionen der Versorgungsssicherheit gehen davon aus, dass die Versorgungs- und die Nachfrageseite nicht voneinander abhängen, und fokussieren sich fast ausschließlich darauf, die Energieversorgung zu sichern. Alternative Formen von Infrastrukturen wie die oben beschriebenen zeigen aber, dass Menschen ihre Erwartungen einer begrenzten und nicht immer verfügbaren Energieversorgung anpassen können. Mit anderen Worten: es ist nicht nur möglich, die Versorgungssicherheit zu verbessern indem man die Verfügbarkeit erhöht, sondern auch indem man die Abhängigkeit von Energie reduziert.

Image: Erdgasterminal. Jason Woodhead.
Image: Erdgasterminal. Jason Woodhead.
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Auch in 24/7-Stromversorgungsnetzen hängen Nachfrage und Versorgung voneinander ab und beeinflussen einander - aber mit dem gegenteiligen Effekt. Genauso, wie “unzuverlässige” Inselnetze einen Lebensstil fördern, der weniger von der Energieversorgung abhängt, so fördern “zuverlässige” Infrastrukturen einen Lebensstil, der über die Zeit immer mehr von der Energieversorgung abhängt.

Industrialisierte Gesellschaften mit “zuverlässigen” Stromnetzen sind bei Stromausfällen am schwächsten und zerbrechlichsten

In ihrem Buch Infrastructures and Practices: the Dynamics of Demand in Networked Societies aus dem Jahr 2018 argumentieren Olivier Coutard und Elizabeth Shove, dass eine unbegrenzte und unterbrechungsfreie Stromversorgung es den Menschen in industrialisierten Gesellschaften ermöglicht hat, eine Vielzahl von Technologien einzusetzen, die von Stromversorgung abhängen. Waschmaschinen, Klimaanlagen, Kühlschränke, automatische Türen, rund um die Uhr verfügbarer Internetzugang sind “normal” und zentrale Bestandteile des täglichen Lebens geworden. Gleichzeitig sind alternative Lösungen für diese Aufgaben - das Wäschewaschen mit der Hand, die Lagerung von Lebensmitteln ohne Elektrizität, Raumkühlung ohne Klimaanlage, Navigation und Kommunikation ohne Smartphones - immer seltener geworden oder schon verschwunden. 30

Als Ergebnis ist die Versorgungssicherheit in Inselnetzen und “unzuverlässigen” zentralen Versorgungsinfrastrukturen tatsächlich höher, während industrialisierte Gesellschaften mit “zuverlässigen” Stromnetzen bei Stromausfällen am schwächsten und zerbrechlichsten sind. Was allgemein als Nachweis der Versorgungssicherheit gesehen wird - eine unbegrenzte und unterbrechungsfreie Stromversorgung - macht im Grunde die industriellen Gesellschaften immer verwundbarer gegenüber Stromausfällen: die Menschen verlernen die Fähigkeiten und den Gebrauch der Technologien, mit denen sie ohne kontinuierliche Stromversorgung auch recht gut leben könnten.

Versorgungssicherheit neu definieren

Um eine brauchbarere Definition der Versorgungssicherheit zu erhalten, muss sie über Energiedienste, sozialen Nutzen oder Grundbedürfnisse definiert werden, und nicht über Massengüter wie Kilowattstunden Strom. 1 Menschen benötigen keinen Strom. Sie müssen Lebensmittel lagern, Wäsche waschen, Türen öffnen und schließen, miteinander kommunizieren, von A nach B gelangen, im Dunkeln sehen und so weiter. All diese Dinge können sowohl mit als auch ohne Elektrizität bewältigt werden. Selbst wenn wir von einer Lösung der Aufgaben mit Elektrizität ausgehen, dann geht es noch mit mehr oder deutlich weniger.

Wenn wir sie auf diese Weise definieren, dann geht es bei der Versorgungssicherheit nicht nur darum, die Versorgung mit elektrischem Strom zu gewährleisten, sondern auch darum, die Resilienz der Gesellschaft zu erhöhen, damit diese ihre Abhängigkeit von einer unterbrechungsfreien Stromversorgung verringert. Dies schließt die Resilienz der Menschen ein (haben sie die Fähigkeiten, um ohne Elektrizität auszukommen?), ebenso die Resilienz von Geräten und technischen Systemen (wie kommen diese mit Unterbrechungen klar?), und schließlich auch die Resilienz von Institutionen (was bedeutet es rechtlich, ein Versorgungsnetz zu betreiben, welches nicht immer verfügbar ist?). Abhängig vom Grad der Resilienz der Gesellschaft kann eine Unterbrechung der Stromversorgung in mehr oder weniger ausgeprägter Weise zu einer Unterbrechung von Energiediensten und von bestimmten Aspekten des täglichen Lebens führen.

Obwohl zum Beispiel unser System der Lebensmittelverteilung von Kühlketten abhängt, welche eine unterbrechungsfreie Stromversorgung erfordern, gibt es auch viele Alternativen dazu. Wir könnten Kühlgeräte besser isolieren, um sie an eine weniger zuverlässige Stromversorgung anzupassen. Wir könnten wieder Kühl- und Eiskeller nutzen (welche Lebensmittel auch ohne Stromversorgung frisch halten). Wir können auch ältere Methoden der Lebensmittelkonservierung wie zum Beispiel Fermentierung stärker nutzen. Wir können auch darauf hinwirken, den Menschen wieder das Kochen mit frischen Nahrungsmitteln nahezubringen; einen Wechsel hin zur Ernährung ohne Tiefkühlkost oder sogar ganz ohne Lebensmittel, die Kühlung benötigen. Auch der häufigere, lokale Einkauf von Lebensmitteln könnte gegenüber dem Wocheneinkauf in großen Supermärkten bevorzugt werden.

Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, müssen wir die Verfügbarkeit der Infrastrukturen verringern.

Wenn wir das Konzept der Versorgungssicherheit in einer ganzheitlicheren Weise angehen und dabei sowohl Angebot als auch Nachfrage betrachten, wird rasch klar dass die Versorgungssicherheit in industrialisierten Ländern tatsächlich abnimmt. Wir delegieren mehr und mehr Aufgaben an Maschinen, Computer und großflächige Infrastrukturen und erhöhen so unsere Abhängigkeit von der Stromversorgung. Darüberhinaus wird das Internet genauso essenziell wie das Stromnetz, und Trends wie Cloud Computing, das Internet der Dinge und autonomes Fahren basieren allesamt auf mehreren, miteinander verbundenen Lagen von unterbrechungsfreien Infrastrukturen.

Image: Ein verlassener Strommast. Miura Paulison.
Image: Ein verlassener Strommast. Miura Paulison.
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Da Nachfrage und Angebot einander beeinflussen, kommen wir zu einer Schlussfolgerung, die der Intuition zu widersprechen scheint: um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, müssen wir die Verfügbarkeit des Stromnetzes verringern. Dadurch würden die Resilienz und die Nutzung von Ersatztechnologien gefördert, und auf diese Weise könnte die Verwundbarkeit industrialisierter Gesellschaften gegenüber Versorgungsausfällen verringert werden. Coutard und Shove argumentieren: “es wäre sinnvoll, den Innovationspotenzialen mehr Beachtung zu schenken, die sich ergeben wenn große Netzwerke geschwächt und aufgegeben werden, oder wenn ihre Zuverlässigkeit sinkt”. Sie fügen noch hinzu, dass die Erfahrung von Menschen, die selbstgewählt in Inselnetzen leben “verschiedene Einsichten in die Konfigurationen bieten, um die es geht”. 30

Für eine weniger verfügbare Energieversorgung zu argumentieren, löst natürlich Kontroversen aus. “Die Lichter anlassen” ist eine Phrase, die gern verwendet wird um Energiereformen wie den Neubau oder die Verlängerung der Lebenszeit von Atomkraftwerken über ihre geplante Lebensdauer hinaus zu begründen. Um aber wirkliche Versorgungssicherheit zu erreichen, sollte “Die Lichter anlassen” durch Sätze wie “Manche Lichter anlassen”, “welches Licht schalten wir als nächstes aus?” oder vielleicht auch “was kann ein bisschen mehr Dunkelheit uns schon schaden?” zu ersetzen. 31 Offensichtlich würde eine weniger verfügbare Stromversorgung auch fundamentale Veränderungen an Routinen und Technologien bedeuten, gleich ob es um Haushalte, Fabriken, Transportsysteme oder auch Kommunikationsnetzwerke geht – aber das ist genau der springende Punkt. Die derzeitige Lebensweise in den industrialisierten Ländern ist einfach nicht nachhaltig.

Dieser Artikel wurde ursprünglich für das UK Demand Centre geschrieben.


  1. Winzer, Christian. “Conceptualizing energy security.” Energy policy 46 (2012): 36-48. https://www.repository.cam.ac.uk/bitstream/handle/1810/242060/cwpe1151.pdf?sequence=1&isAllowed=y ↩︎ ↩︎ ↩︎

  2. Sovacool, Benjamin K., and Ishani Mukherjee. “Conceptualizing and measuring energy security: A synthesized approach.” Energy 36.8 (2011): 5343-5355. https://relooney.com/NS4053-Energy/00-Energy-Security_1.pdf ↩︎

  3. Kruyt, Bert, et al. “Indicators for energy security.” Energy policy37.6 (2009): 2166-2181. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0301421509000883 ↩︎

  4. Cherp, Aleh, and Jessica Jewell. “The concept of energy security: Beyond the four As.” Energy Policy 75 (2014): 415-421. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0301421514004960 ↩︎

  5. Energy security, International Energy Agency. https://www.iea.org/topics/energysecurity/ ↩︎

  6. Lucas, Javier Noel Valdés, Gonzalo Escribano Francés, and Enrique San Martín González. “Energy security and renewable energy deployment in the EU: Liaisons Dangereuses or Virtuous Circle?.” Renewable and Sustainable Energy Reviews 62 (2016): 1032-1046. https://www.researchgate.net/profile/Javier_Valdes4/publication/303361228_Energy_security_and_renewable_energy_deployment_in_the_EU_Liaisons_Dangereuses_or_Virtuous_Circle/links/5a536f45458515e7b72eab26/Energy-security-and-renewable-energy-deployment-in-the-EU-Liaisons-Dangereuses-or-Virtuous-Circle.pdf ↩︎

  7. Strambo, Claudia, Måns Nilsson, and André Månsson. “Coherent or inconsistent? Assessing energy security and climate policy interaction within the European Union.” Energy Research & Social Science 8 (2015): 1-12. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S221462961500047X ↩︎

  8. CEER Benchmarking Report 6.1 on the Continuity of Electricity and Gas Supply. Data update 2015/2016. Ref: C18-EQS-86-03. 26-July-2018. Council of European Energy Regulators. https://www.ceer.eu/documents/104400/-/-/963153e6-2f42-78eb-22a4-06f1552dd34c ↩︎ ↩︎

  9. Average frequency and duration of electric distribution outages vary by states. U.S. Energy Information Administration (EIA). April 5, 2018. https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=35652 ↩︎

  10. Röpke, Luise. “The development of renewable energies and supply security: a trade-off analysis.” Energy policy 61 (2013): 1011-1021. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/73854/1/IfoWorkingPaper-151.pdf ↩︎ ↩︎

  11. “Evolutions in energy conservation policies in the time of renewables”, Nicola Lablanca, Isabella Maschio, Paolo Bertoldi, ECEEE 2015 Summer Study – First Fuel Now. https://www.eceee.org/library/conference_proceedings/eceee_Summer_Studies/2015/9-dynamics-of-consumption/evolutions-in-energy-conservation-policies-in-the-time-of-renewables/ ↩︎

  12. “How not to run a modern society on solar and wind power alone”, Kris De Decker, Low-tech Magazine, September 2017. here↩︎

  13. Nedic, Dusko, et al. Security assessment of future UK electricity scenarios. Tyndall Centre for Climate Change Research, 2005. http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.461.4834&rep=rep1&type=pdf ↩︎

  14. Zhou, P., R. Y. Jin, and L. W. Fan. “Reliability and economic evaluation of power system with renewables: A review.” Renewable and Sustainable Energy Reviews 58 (2016): 537-547. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S136403211501727X ↩︎

  15. Smil, Vaclav. Power density: a key to understanding energy sources and uses. MIT Press, 2015. https://mitpress.mit.edu/books/power-density ↩︎

  16. Landeira, Cristina Cabo, Ángeles López-Agüera, and Fernando Núñez Sánchez. “Loss of Load Probability method applicability limits as function of consumption types and climate conditions in stand-alone PV systems.” (2018). https://www.researchgate.net/profile/Cristina_Cabo2/publication/324080184_Loss_of_Load_Probability_method_applicability_limits_as_function_of_consumption_types_and_climate_conditions_in_stand-alone_PV_systems/links/5abca9fa45851584fa6e1efd/Loss-of-Load-Probability-method-applicability-limits-as-function-of-consumption-types-and-climate-conditions-in-stand-alone-PV-systems.pdf ↩︎ ↩︎

  17. Singh, S. Sanajaoba, and Eugene Fernandez. “Method for evaluating battery size based on loss of load probability concept for a remote PV system.” Power India International Conference (PIICON), 2014 6th IEEE. IEEE, 2014. https://ieeexplore.ieee.org/abstract/document/7117729 ↩︎

  18. How sustainanle is stored sunlight? Kris De Decker, Low-tech Magazine. here↩︎

  19. Chapman, R. N. “Sizing Handbook for Stand-Alone Photovoltaic.” Storage Systems, Sandia Report, SAND87-1087, Albuquerque (1987). https://prod.sandia.gov/techlib-noauth/access-control.cgi/1987/871087.pdf ↩︎

  20. Posadillo, R., and R. López Luque. “A sizing method for stand-alone PV installations with variable demand.” Renewable Energy33.5 (2008): 1049-1055. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S096014810700184X ↩︎

  21. Khatib, Tamer, Ibrahim A. Ibrahim, and Azah Mohamed. “A review on sizing methodologies of photovoltaic array and storage battery in a standalone photovoltaic system.” Energy Conversion and Management 120 (2016): 430-448. https://staff.najah.edu/media/published_research/2017/01/19/A_review_on_sizing_methodologies_of_photovoltaic_array_and_storage_battery_in_a_standalone_photovoltaic_system.pdf ↩︎

  22. Vannini, Phillip, and Jonathan Taggart. Off the grid: re-assembling domestic life. Routledge, 2014. http://lifeoffgrid.ca/off-grid-living-the-book/ ↩︎ ↩︎

  23. “Materialising energy and water resources in everyday practices: insights for securing supply systems”, Yolande Strengers, Cecily Maller, in “Global Environmental Change 22 (2012), pp. 754-763. http://researchbank.rmit.edu.au/view/rmit%3A17990/n2006038376.pdf ↩︎ ↩︎

  24. Pillai, N. “Loss of Load Probability of a Power System.” (2008). https://mpra.ub.uni-muenchen.de/6953/1/MPRA_paper_6953.pdf ↩︎

  25. Al-Rubaye, Mohannad Jabbar Mnati, and Alex Van den Bossche. “Decades without a real grid: a living experience in Iraq.” International Conference on Sustainable Energy and Environment Sensing (SEES 2018). 2018. https://biblio.ugent.be/publication/8566224 ↩︎

  26. Telson, Michael L. “The economics of alternative levels of reliability for electric power generation systems.” The Bell Journal of Economics (1975): 679-694. https://www.jstor.org/stable/3003250?seq=1#page_scan_tab_contents ↩︎

  27. Schröder, Thomas, and Wilhelm Kuckshinrichs. “Value of lost load: an efficient economic indicator for power supply security? A literature review.” Frontiers in energy research 3 (2015): 55. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fenrg.2015.00055/full ↩︎

  28. Ratha, Anubhav, Emil Iggland, and Goran Andersson. “Value of Lost Load: How much is supply security worth?.” Power and Energy Society General Meeting (PES), 2013 IEEE. IEEE, 2013. https://www.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/itet/institute-eeh/power-systems-dam/documents/SAMA/2012/Ratha-SA-2012.pdf ↩︎

  29. De Nooij, Michiel, Carl Koopmans, and Carlijn Bijvoet. “The value of supply security: The costs of power interruptions: Economic input for damage reduction and investment in networks.” Energy Economics 29.2 (2007): 277-295. https://s3.amazonaws.com/academia.edu.documents/40102922/The_Value_of_Supply_Security_The_Costs_o20151117-24458-1eo081r.pdf?AWSAccessKeyId=AKIAIWOWYYGZ2Y53UL3A&Expires=1544213977&Signature=d01qoyIcopj1rE5HpSWkCGcQzRk%3D&response-content-disposition=inline%3B%20filename%3DThe_value_of_supply_security.pdf ↩︎

  30. Coutard, Olivier, and Elizabeth Shove. “Infrastructures, practices and the dynamics of demand.” Infrastructures in Practice. Routledge, 2018. 10-22. https://www.routledge.com/Infrastructures-in-Practice-The-Dynamics-of-Demand-in-Networked-Societies/Shove-Trentmann/p/book/9781138476165 ↩︎ ↩︎

  31. Demand Dictionary of Phrase and Fable, seventeenth edition. Jenny Rinkinen, Elizabeth Shove, Greg Marsden, The Demand Centre, 2018. http://www.demand.ac.uk/wp-content/uploads/2018/07/Demand-Dictionary.pdf ↩︎